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Niedersächsische Verwaltungsgerichtsbarkeit kommt an ihre Grenzen – besorgniserregende Zahlen im Geschäftsbericht für das Jahr 2017 vorgestellt

Im Rahmen der Jahresbilanzpressekonferenz hat der Präsident des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts Dr. Thomas Smollich am 11. April 2018 den neuen Geschäftsbericht für die niedersächsische Verwaltungsgerichtsbarkeit vorgestellt.

Die Welle der Asylverfahren hat 2017 die niedersächsische Verwaltungsgerichtsbarkeit voll erreicht und zu den höchsten jemals gezählten Neueingängen geführt:

Im Jahr 2017 sind bei den sieben niedersächsischen Verwaltungsgerichten 43.228 Verfahren eingegangen und beim Oberverwaltungsgericht 4.623 Verfahren. Damit haben sich die neu eingegangenen Asylverfahren bei den Verwaltungsgerichten gegenüber 2016 nochmals fast verdoppelt und beim Oberverwaltungsgericht zu einem Anstieg der Gesamteingänge um mehr als 70 % geführt. Asylrechtliche Klage- und Eilverfahren machen bei den Verwaltungsgerichten inzwischen fast 65 % aller Neueingänge aus und haben beim Oberverwaltungsgericht einen Anteil von 49 % aller Rechtsmittelverfahren bzw. von fast 65 % der neu eingegangenen Berufungsverfahren und Anträge auf Zulassung der Berufung erreicht. Bei den Hauptherkunftsländern hat es gegenüber dem Vorjahr deutliche Änderungen gegeben: die meisten Eingänge entfallen bei den Verwaltungsgerichten nicht mehr auf das Herkunftsland Syrien (noch 15 % aller Asylneueingänge), sondern auf Afghanistan (17,4 %). Jeweils mehr als 1.000 Neueingänge betreffen die Herkunftsländer Irak, Côte d'Ivoire, Sudan, Pakistan und Iran. Beim Oberverwaltungsgericht bestehen die asylrechtlichen Verfahren zu einem weit überwiegenden Anteil aus Berufungs- und Berufungszulassungsverfahren, bei denen es um Schutzsuchende aus dem Herkunftsland Syrien geht, die eine Anerkennung als Flüchtlinge statt des bereits gewährten subsidiären Schutzes begehren (81,5 % aller asylrechtlichen Verfahren).

Zwar ist inzwischen ein leichter Rückgang zu verzeichnen, die Gesamteingänge bleiben jedoch auch 2018 weiter auf hohem, deutlich über dem der Vorjahre liegenden Niveau. Mit den bereits anhängigen Verfahren hat sich ein gewaltiger Verfahrensbestand aufgebaut, der selbst mit weiterer Personalverstärkung die Belastung der Verwaltungsgerichte mit Asylverfahren noch weiter erhöhen und auch auf Jahre hinaus nur nach und nach abzubauen sein wird.

Dank des herausragenden Engagements aller Kolleginnen und Kollegen einschließlich der neu eingestellten Proberichterinnen und Proberichter konnten die Erledigungen bei den Verwaltungsgerichten gegenüber dem Vorjahr auf insgesamt 29.934 kräftig erhöht werden. Allein im Bereich der erledigten Asylverfahren wurden die schon hohen Zahlen des Geschäftsjahres 2016 nochmals um 45 % gesteigert und gegenüber dem Jahr 2014 sogar mehr als verdoppelt. Dennoch ist der Gesamtbestand bei den Verwaltungsgerichten am Jahresende 2017 um nahezu 70 % angewachsen (auf 31.552 Verfahren) und beträgt damit mehr als eine Jahreserledigungsleistung aller Richterinnen und Richter. Die Pro-Kopf-Belastung ist weiter enorm und betrug 2017 trotz der erreichten Personalverstärkungen noch immer das 1,5-fache eines Normalpensums.

Die hohe Erledigungszahl bei den Verwaltungsgerichten blieb nicht ohne Folgen für das Oberverwaltungsgericht. Hier haben sich 2017 die Gesamteingänge um 70 % erhöht. Dieser Zuwachs beruht wesentlich auf dem drastischen Anstieg der asylrechtlichen Berufungs- und Berufungszulassungsverfahren um ein Siebenfaches im Vergleich zum Vorjahr. Aber auch in den klassischen verwaltungsrechtlichen Rechtsgebieten sind erhebliche Zuwächse festzustellen. Die Gesamtzahl der Erledigungen ist beim Oberverwaltungsgericht gegenüber dem Vorjahr um ein Viertel gestiegen. Dennoch sind auch hier die Verfahrensbestände gravierend angewachsen: Der Gesamtbestand 2017 hat sich vorrangig durch die drastisch gestiegenen Asyleingänge mehr als verdoppelt.

Dem unermüdlichen Einsatz und der weiterhin hohen Motivation der stark belasteten Richterinnen und Richter ist es zu verdanken, dass die Verfahrenslaufzeiten 2017 dennoch niedrig geblieben sind. Die Laufzeiten der Klageverfahren bei den Verwaltungsgerichten sanken gegenüber dem Vorjahr trotz der gestiegenen Eingänge auf nur noch 8 Monate, asylrechtliche Klageverfahren wurden sogar in nur 6,9 Monaten erledigt. Die Laufzeiten bei erstinstanzlichen Eilverfahren haben sich insgesamt geringfügig erhöht, sind aber im Bereich der Asylverfahren mit 0,8 Monaten so niedrig wie 2014. Beim Oberverwaltungsgericht konnten die durchschnittlichen Verfahrenslaufzeiten, die schon im Vorjahr bei nahezu allen Verfahrensarten auf die geringste Verfahrensdauer seit Jahren gesunken waren, nochmals deutlich verkürzt werden.

Diese Laufzeiten werden jedoch trotz aller Anstrengungen in den nächsten Jahren nicht zu halten sein, zumal damit zu rechnen ist, dass der Altbestand in den Folgejahren noch deutlich anwachsen wird. Denn der zur Verfügung stehende Personalbestand wird trotz Neueinstellungen und Abordnungen aus anderen Gerichtsbarkeiten nicht ausreichen, um bei den Erledigungen mit der hohen Zahl der bereits aufgelaufenen Bestände und weiterer Eingänge Schritt zu halten. Zudem hat die anhaltend hohe Belastungssituation schon jetzt eine besorgniserregende Entwicklung in Gang gesetzt: Die krankheitsbedingten Fehlzeiten stiegen bei den Richterinnen und Richtern gegenüber 2015 um mehr als 60 % und bei den Beschäftigten im mittleren und Schreibdienst um gut 70 %.

„Die Zahlen verdeutlichen, dass die Richterschaft sowie die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an ihre Grenzen stoßen“, mahnte der Präsident des Oberverwaltungsgerichts. „Selbst wenn es eine leichte Entspannung bei den Eingangszahlen geben sollte, bleibt die Situation durch die extrem hohe Zahl von Beständen außerordentlich angespannt. Die langfristige Sicherung des Personalbestands ist genauso unumgänglich wie die Ausschöpfung gesetzgeberischer Maßnahmen zur Gestaltung eines effektiven Asylprozesses“, ergänzte Präsident Dr. Smollich.

Einzelheiten zur Geschäftsentwicklung bei den Verwaltungsgerichten und beim Oberverwaltungsgericht können dem Geschäftsbericht für das Jahr 2017 entnommen werden, der in elektronischer Form dieser Pressemitteilung beigefügt ist und auf der Homepage des Oberverwaltungsgerichts abgerufen werden kann unter: www.oberverwaltungsgericht.niedersachsen.de.

Artikel-Informationen

erstellt am:
11.04.2018

Ansprechpartner/in:
VRi' in OVG Andrea Blomenkamp

Nds. Oberverwaltungsgericht
Pressestelle
Uelzener Str. 40
21335 Lüneburg
Tel: 04131-718 187
Fax: 0 5141/5937-32300

http://www.oberverwaltungsgericht.niedersachsen.de

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